Twipression

christoroliachristorolia
 Je länger ich bei twitter bin, desto mehr fällt mir auf, dass verdammt viele Menschen dort von der Grundstimmung her unglücklich bis depressiv sind bzw. scheinen oder sich den Anschein geben. Der Anteil der unglücklichen Menschen erscheint mir bei twitter deutlich höher als im “wirklichen Leben” oder auch auf facebook oder google+.

Meine Gefühle können mich natürlich täuschen, aber nehmen wir an, ich hätte Recht und euer Gefühl sagt euch Ähnliches. Was könnten die Gründe sein? Macht twitter etwa unglücklich? Ist es einfach cooler, sich (negativ) emotional zu geben? Oder ist es leichter Gefühle zu twittern als sie face-to-face auszusprechen? Es könnte natürlich auch etwas komplizierter sein, z.B. dass wir durch das twittern über längere Zeit eher an unsere wahren Gefühle gelangen.

Ute GerhardtUte
Nach meinem Empfinden ist das gemischt.

Für manche scheint das virtuelle Seufzen eine regelrechte Strategie zu sein, um Aufmerksamkeit und Mitleid zu bekommen.

Andere kotzen sich einfach mal punktuell aus, und dann ist es auch wieder gut. Allerdings bekommt man von ihren guten Zeiten dann nicht mehr so viel mit bzw. achtet nicht so sehr darauf, weil weniger spektakulär. Twitter lebt ja von spontanen Äußerungen, verbalen Schnappschüssen, sozusagen. Da kann es schon sein, dass öfter mal was rausrutscht, was man sich auf Facebook doch erstmal verkneifen würde. Es gleitet ja auf Twitter auch viel schneller mit dem Tweetstrom ausser Sichtweite.

Noch andere haben anscheinend in ihrem Umfeld überhaupt keinen Real-Life-Ansprechpartner. Das sind vermutlich die, die in Foren und Chats für ähnliches Verhalten bekannt sind.

Und eine letzte Gruppe scheint Emotweets für ein gutes Mittel zu halten, sich reif, erwachsen und philosophisch zu geben. (Diese und die erste Kategorie fliegen bei mir allerdings ziemlich fix aus der Timeline.)

Twitter an sich würde ich dieses Phänomen, das tatsächlich auch mir schon aufgefallen ist, nicht direkt anlasten. Allerdings scheint mir, dass mit einem einzigen Unglücklichen oft früher oder später die ganze Gruppe abstürzt. Warum das gerade auf Twitter so ausgeprägt ist, weiß ich allerdings auch nicht.

fischblogLars
Ich vermute, es liegt bei vielen Leuten auch daran, dass Twitter einfach das ideale Medium für den “kleinen Weltschmerz zwischendurch” ist. Man hat ja immer mal diese Gnarf-Momente, die nach n paar Minuten oder ner Viertelstunde oder nem Tag wieder gut sind und wegen denen man sich nicht irgendwo ausweinen oder anderweitig Drama veranstalten muss. Aber es tut eben dann doch gut, einfach mal sagen zu können, dass grad alles ziemlicher Mist ist. Auf Twitter kann man das schnell mal von der Seele lassen, ohne dass sich jemand spezifisch angesprochen fühlen muss.

Ich glaube, die allermeisten “depressiven” Wortmeldungen auf Twitter sind aus dieser Kategorie. Kleinkram, den man grad mal loswerden muss. Aber man merkt dadurch natürlich auch wesentlich schneller als im RL, wenn es jemandem systematisch schlechter geht, gerade weil man auf Twitter leichter mal sagt, wie man sich gerade fühlt.

Joachim
Ich bin einigermaßen erstaunt. Mir ist das bisher nicht aufgefallen. Ich folge vielleicht einer Hand voll stets unglücklicher Twitternde, aber ähnlich viele, vielleicht noch mehr kenne ich außerhalb Twitters. Woran liegt das nun? Habe ich eine andere Wahrnehmung als ihr (vielleicht bin ich euren Augen auch einer der vielen unzufriedenen)? Oder ist meine Timeline anders strukturiert?

Ich habe den Eindruck, dass jede und jeder Twitter etwas anders nutzt. Einige nutzen Twitter politisch um ihre Meinung und ihre Empörung auszudrücken. Andere promoten damit ihre privaten Steckenpferde oder ihre geschäftlichen Projekte. Und andere nutzen es offenbar, um ihren Weltschmerz auszudrücken. Das die letzte Gruppe besonders groß ist, kann ich zumindest mit meiner Wahrnehmung in meiner Timeline nicht erkennen.

felisfelis
In meiner Timeline nehme ich das durchaus auch so wahr, dass viele Menschen oft unglücklich, teils auch depressiv sind. Einerseits schreibe ich das der sogenannten Filterblase zu: Mein Followingverhalten begünstigt, dass Menschen, denen es nicht gut geht, in meiner Timeline landen. Andererseits glaube ich, dass dieses Phänomen innerhalb einer Peergroup auch selbstverstärkend ist. Die offenen Äußerungen anderer ermutigen vielleicht dazu, selbst offener damit umzugehen, wenn es einem nicht gut geht. Die Erfahrung von Anteilnahme und Unterstützung, die über Twitter kommen und die zumindest ein wenig das Gefühl vermittlen, mit seinen Problemen nicht allein zu sein, tragen sicher auch dazu bei. Außerdem habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass viel Traurigkeit und Depressionen im Umfeld sich auch auf mich auswirken. Zu sehen, dass es Menschen, die man mag, nicht gut geht und selbst nicht in der zu Lage sein, ihnen zu helfen, führt vielleicht auch dazu, selbst traurig zu werden.

fischblogLars
Da sehe ich auch das eigentliche Problem: Dass dieser selbstverstärkende Effekt die positive Wirkung für die Einzelnen zunichte macht. Es kann ja nicht der Sinn der Sache sein, dass man sich auf Twitter gegenseitig runterzieht (und gelegentlich auch noch stolz darauf ist). Da macht natürlich die Dosis das Gift, und dessen müssen sich alle bewusst sein.

Zumal ja ernste Probleme, auf die solche dauernden Depri-Tweets hinweisen, auf Twitter schlicht nicht lösbar sind. Mit sowas müssen die Leute über kurz oder lang aus der Timeline raus und das Problem angehen, beziehungsweise sich ggf professionelle Hilfe holen. Viele von uns sind ja auch so regelmäßig auf Twitter, dass sie sich solchem Verhalten nicht sinnvoll entziehen können, und da liegt es in der Verantwortung der Betroffenen, darauf zu achten, dass sie anderen nicht schaden.

christoroliachristorolia
Mir ist da gerade noch ein Artikel in die Finger gekommen, der meine These stützt. In dem open-access-Artikel Temporal Patterns of Happiness and Information in a Global Social Network: Hedonometrics and Twitter  in PLOS (-> Artikel) untersuchen US-amerikanische Wissenschaftler die Entwicklung von Glück anhand der Verwendung von etwa 10.000 Wörtern bei twitter als Marker. Die grafische Darstellung Overall happiness, information, and count time series for all tweets averaged by individual day (-> Grafik) zeigt deutlich: Es geht bergab mit dem Glück!

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20 Kommentare zu Twipression

  1. Sie haben bestimmt alle recht. Ein Aspekt sei hinzugefügt: Glücklichsein ist langweilig. Jede interessante Geschichte hat eine Wendung, in der der Held in Gefahr oder ins Unglück gerät. Wer von früh bis spät gut drauf ist, mag es gut getroffen haben. Aber für seine Umgebung ist das – mit Verlaub – eher unspannend. Zu den interessantesten und unterhaltsamsten Dingen zählt dagegen der Umgang mit eigenen Schwierigkeiten, Schwächen, Problemen. Und um zugespitzte Unterhaltung (neben aktuellen Infos und Meinungen) geht es doch den meisten bei Twitter.

    Ich biete Ihnen mal zwei Tweets zur Auswahl:

    1. “Hey, ich bin schon wieder mit großem Abstand Judo-Kreismeister geworden und freu mich riesig”

    2. “Judo-Kreismeisterschaft. Seit letztem Mal Fortschritte gemacht. Nur noch Vorletzter.”

    Welchem würden Sie eher einen Stern geben? Auch unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Da sehenses!

  2. Pingback: Twipression – Eine Diskussion auf Kneipenlog | Moltroff's Stirnlappen

  3. Moltroff sagt:

    Twitterdepression?
    Nun, es scheint zumindest ein belegbares Phänomen, dass Menschen, die in sozialen Netzen unterwegs sind mit diesem ‘Befund’ deutlich über dem statistischen Durchschnitt liegen; Im Netz kursiert der Begriff vom “Internet-Burnout” oder von der “Internet-Depression”. Oftmals mit einem Augenzwinkern, aber des Pudels Kern betreffend beschreibt es recht präzise die Symptome: Twitterer (und andere Nerds) scheinen sich schlecht zu fühlen, wenn sie nicht genügend “Aufmerksamkeit” bekommen. Auf der anderen Seite machen sie die Illusion der Aufmerksamkeit an quantitativen Aspekten wie Zahl der Follower, Favs und RT’s fest. Die von vielen Tweeps angefeuerte Trophäenjagd (Favstar-Pokale etc.) trägt ihr Übriges dazu bei.

    Ich stelle in meiner eigenen Timeline fest: Der Glaube oder das Bedürfnis, permanent dabei sein und jederzeit auf replys oder mentions reagieren zu müssen wird scheinbar tatsächlich zum Stressfaktor. Je mehr Follower man hat um so weniger kann man natürlich dieser Erwartung gerecht werden, was das Perpetuum mobile antreibt. Wer dann bereits physisch labil ist treibt möglicherweise in eine Depression darüber, dass er im Netzwerk nicht mehr dazu gehören kann, weil er überfordert ist.

    Was hilft, wenn man bei sich oder anderen Tweeps diesen Befund konstatiert? Schwierig. Aber ein wenig Hilfestellung liefert sogar der RL-Business-Antistresscoach: Wer erfolgreich sein will, kann nicht überall sein, sondern konzentriert sich auf seine Bereiche. Für mich heißt das: Kein Facebook, kein Google+ mehr sondern ausschließlich Twitter. Am Faktor “Zeitaufwand” arbeite ich noch :-)

    @Moltroff
    https://twitter.com/Moltroff

    Interessanter Link: http://blog.zdf.de/hyperland/2012/04/die-facebook-depression-und-was-man-dagegen-tun-kann/

  4. @mschfr sagt:

    Die wohl beste Beschreibung des Verhaltens von Depressiven Personen stammt erstaunlicherweise aus einem Cracked.com-Artikel über ein Bild von Kurt Cobain, auf dem er eine Pizza ißt:

    “This is something everybody should understand about depression, by the way. Tell me you haven’t at least once heard somebody say, “I refuse to believe it was suicide, I was just out with Mike two weeks ago. He was laughing and joking and eating an entire pizza like it was a video game power-up.” Well, depression works that way. Movies have given us a skewed idea of how it works, because there, when a character enters his “dark period,” it’s with a montage full of sad music and drinking and moping in dim rooms. Real life isn’t like that. Not only do moods fluctuate, but even when you’re at your lowest you find yourself in social situations where you’re not allowed to show it. If you’re in a dark place but can’t get out of your nephew’s birthday party at Chuck E. Cheese’s, you’re going to put on a smile for the camera. You feel selfish bringing everybody else down. You put on a cheerful mask. ( http://www.cracked.com/blog/14-photographs-that-shatter-your-image-famous-people_p2/ )

    Kurz: Depressive Menschen wirst du im realen Leben selten extrem depressiv treffen, weil sie in sozialen Situationen eine Maske aufziehen und “funktionieren”. Bei engen Freunden weißt du, was los ist, aber bei nur flüchtig Bekannten weißt du es eben nicht. Twitter durchbricht das, gerade weil die einzelnen Tweets schnell geschickt sind und sich eben nach dem eigenen privaten Raum anfühlen. Von daher ist es logisch, dass du auf Twitter mehr Leute triffst, die offener sprechen als in den realen persönlichen Kontakten.

    (Gedanke am Rande: Ich stoße ab und an auf Internetseiten von Leuten, die ganz klar schizophren sind, auf denen sie die wildesten Theorien über Gehirnstrahlen, Mikrowellenterror, Verschwörungen, Zahlentheorien etc. formulieren. Dann liest man die Seite, denkt sich, dass dem armen Menschen eigentlich geholfen werden müsste, man fühlt sich aber gleichzeitig machtlos. Das ist ein extrem mieses Gefühl, mit dem irgendwie schwer umzugehen ist)

  5. christorolia christorolia sagt:

    An dieser Stelle möchte ich, wie ich es in meiner Einleitung schon zart versucht habe, darauf hinweisen, dass wir einige Begriffe auf keinen Fall vermischen dürfen: Einfach so – ich sage es mal salopp – dahingeschnodderde Emo-Tweets vs. depressiver Verstimmung vs. “echter” Depression mit Krankheitswert (inklusive aller möglichen Übergänge). Die Interpretation von Tweets inkl. DMs muss unbedingt mit dem Wissen um diese Unterschiede erfolgen.

    • Ute Gerhardt Ute Gerhardt sagt:

      Bist du dir da sicher? Es geht ja um die Wirkung auf den Mitleser. Bei ihm summiert sich das ja alles und er muss ständig sortieren, ob und wo und wie er reagieren will, muss, kann… Das kann auf die Dauer schon reichlich zermürbend sein. Wie Lars oben schon schrieb: Da sind auch die Betroffenen selbst in der Verantwortung, ihre Timeline nicht zu überlasten und zu erkennen, wenn sie die ganze Gruppe mit runterziehen – egal ob sie nun einfach “hemmungslos” twittern oder echte Probleme haben.

      • LySander sagt:

        Depressive Tweets auf TL: Ich denke, hier erfolgt eine negative Verstärkung durch Rückmeldungen und Mentions. Aus eigener Erfahrung kenne ich den Unterschied: Ich schreibe monatelang über schöne Dinge, ausser wenigen Sternen passiert nichts. Ich setze EIN Emotweet und bekomme sofort ungezählte Rückfragen und DMs. Und spürbar echte Anteilnahme. Freundschafts- und Hilfsangebote. Ich stelle mir vor, dass das der Motor für viele ist, in dieser Stimmung zu schreiben. Allerdings dürfte sich der Effekt erheblich abschwächen, wenn ständig tragisch geschrieben wird.
        Viel interessanter finde ich die Frage: Falls tatsächlich auf Twitter mehr Depressive zu finden sind als im Bevölkerungsdurchschnitt:
        Macht das Medium Twitter unglücklich oder zieht es nur verstärkt diese Menschen an, weil sie hier eine Plattform finden?

      • christorolia christorolia sagt:

        Einspruch: Auf Emo-Tweets kann ich ironisch-zynisch-kynisch-sarkastisch reagieren — oder gar nicht. Bei depressiverer Verstimmung (plus “schlecht drauf” u.a.) kann es reichen, wenn viele, die einem Nahe stehen, einen flauschen, in den virtuellen Arm nehmen usw. Die Reaktionen sind relativ “einfach”. In beiden Fällen kann man auch erwarten, dass sie eine TL nicht “überlasten”, was mich persönlich aber gar nicht so stören würde.

        Bei einer echten Depression ist es hingegen sehr viel komplizierter. Beispiel: Die Aufforderung an die leidende Person “rede doch mit jemanden” kann u.U. genau das Gegenteil dessen bewirken, was es soll. Nämlich starken zusätzlichen Stress, der dann zur Verstärkung der Symptome führen kann. Der gleiche Mensch kann aber wiederum zu einem anderen Zeitpunkt Hilfe suchen, in dem dieser Mensch ein Gespräch braucht. Hier ist großes Fingerspitzengefühl gefragt, es ist notwendig, sich mit diesem Menschen intensiv auseinander zu setzen.

        • Ute Gerhardt Ute Gerhardt sagt:

          “es ist notwendig, sich mit diesem Menschen intensiv auseinander zu setzen.”

          Und was machst du, wenn du gleich mehrere davon in der TL hast, die über Monate und Jahre hinweg zu mindestens 50% Depritweets absetzen? Wenn man nicht gerade Psychologe oder Psychiater ist, ist das schlicht nicht zu schaffen, sich mit jedem von ihnen intensiv auseinanderzusetzen, wenn man nicht selbst dabei vor die Hunde gehen will. Erst recht dann nicht, wenn man sie nur relativ flüchtig kennt.

          Selbst Profis schaffen sowas nur, weil sie eben emotionalen Abstand wahren und abends die Praxistür hinter sich zufallen und die Einzelschicksale bis zum nächsten Tag in den betreffenden Akten lassen. Das Tabu, eine emotionale Bindung zum Patienten einzugehen, hat durchaus einen verdammt guten Grund.

          Das Problem auf Twitter: Man trifft technisch bedingt auf viel mehr Leute als im RL. (Wer macht schon täglich Party mit 600 Leuten?) Somit auch auf mehr Leute mit echtem Hilfebedarf. Noch dazu sieht man sich mit dem moralischen Anspruch konfrontiert, auf jeden eingehen zu müssen, von dessen Problemen man erfährt. Es übersteigt aber einfach die eigenen Ressourcen, da auf jeden einzugehen.

          Irgendwann .muss. man eine Grenze setzen, wenn man nicht selbst vor die Hunde gehen will. (Allerspätestens dann, wenn der Hilfebedürftige keine Hilfe von anderer Seite annimmt und sich permanent nur auf Twitter verlässt.) Anscheinend tun das auf Twitter viele aber nicht und werden auf diese Art zum nächsten Fall, der betreut werden muss. Ich sehe da durchaus einen Zusammenhang.

          • christorolia christorolia sagt:

            Volle Zustimmung: ein halbherziger Versuch hilft nicht, bewirkt u.U. genau das Gegenteil. Somit müssen wir uns das genau überlegen, uns selbst nicht überschätzen. Und es gibt ein Stichwort: Abgrenzung.

  6. LySander sagt:

    Nur wenige zeigen ihre suizidalen Tendenzen so offen wie in den bekannten Beispielen des letzten Jahres. Ich redete inzwischen mit einigen, die unerwartet in den DMs über ihre depressiven Phasen und den Wunsch zum Suizid berichten. Und doppelt ernst nehme ich das bei jenen, die auf TL ganz “unauffällig” sind.
    Ja, ich habe inzwischen den Eindruck, dass hier viele ihren täglichen Kampf kämpfen – und ganz anders als oben geschrieben – nicht die Einsamen, in sich Eingeigelten, sondern die mit Familie und Arbeit, scheinbar sicher eingebunden in ein soziales Umfeld.

  7. Dyrnberg sagt:

    Diese Erfahrung habe ich derart in meiner TL nicht gemacht.

    Aber dass sich mancher Mensch eher Twitter als Facebook für Seufzer des Weltschmerzes aussucht, würde mir einleuchten. Facebook wird ja eher als “Schaufenster des eigenen Lebens” verwendet. Da stellt man die Fotos von seiner Paraglidingstunde und von seinem Thailandurlaub online und schreibt Dinge wie “Ein ganzer normaler Samstagnachmittag in meinem Leben” drunter. Twitter könnte da als Ventil für die dunkleren Sekunden adäquater sein.

    • Ute Gerhardt Ute Gerhardt sagt:

      Da ist was dran, denke ich. Was allerdings auch bedeutet, dass Twitter schnell zur Falle für Leute mit Helfersyndrom werden kann.

  8. Ute Gerhardt Ute Gerhardt sagt:

    @Bewitchedmind Ich nehme an, dass man zumindest bei einigen Usern von einem Rückkopplungseffekt ausgehen kann: Unglückliche Twitterer machen andere Twitter ebenfalls unglücklich. Nicht zwangsläufig, aber – wie Felis oben beschrieb – eben immer dann, wenn einem von ihnen das Gespür für gesunden Abstand und Selbstschutz abhanden gekommen ist. Und das scheinen doch leider eine ganze Menge zu sein.

    Klar versucht man erstmal zu helfen und trösten, so gut man kann, aber in einigen Fällen muss man sich irgendwann halt eingestehen, dass da ein Profi erforderlich ist. Sich da immer noch selbst abzumühen und zu versuchen, diesen Profi zu ersetzen, ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel und muss früher oder später zum eigenen Zusammenbruch führen, wenn man sich da nicht rechtzeitig rauszieht.

    Hätte das Gegenüber einen Bandscheibenvorfall oder eine Appendizitis, wäre den meisten – und auch den Betroffenen selbst! – sofort klar, dass sie mit echter Hilfe als Laien völlig überfordert sind. Aber gegenüber Freunden und Bekannten mit Depressionen scheint diese Erkenntnis oft erst dann einzusetzen, wenn man selbst am Boden ist.

    • felis felis sagt:

      Naja, das sagt sich so leicht mit dem gesunden Abstand und Selbstschutz, Wenn einem Menschen wichtig sind, ist es vielleicht nicht so einfach, sich das nicht nahe gehen zu lassen. Ganz abegesehen davon glaube ich, dass selbst in Fällen, wo professionelle Hilfe nötig ist, auch Freunde helfen können, zum Beispiel dabei, sich eben diese zu suchen und in Anspruch zu nehmen.

      • Ute Gerhardt Ute Gerhardt sagt:

        Stimmt. Aber wenn man dann merkt, dass derjenige dennoch nicht zum Arzt geht, ist bei den Helfern irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht. Das ist, als hätte sich jemand das Bein gebrochen und würde – statt es richten und eingipsen zu lassen – sich einfach drauf verlassen, dass seine Freunde ihn bestimmt weiter huckepack tragen werden. Wenn mir sowas unterkommt, ziehe ich mich raus aus der Geschichte. Und von der Sorte gibt’s in der Timeline leider einige.

        • felis felis sagt:

          Naja, eine Depression und ein gebrochenes Bein zu vergleichen, halte ich für ziemlich ungeeignet. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist eine völlig andere, ganz abgesehen davon, dass es unter Umständen eben grade im Wesen der Depression liegt, nicht “einfach” zum Arzt gehen zu können.

          • Ute Gerhardt Ute Gerhardt sagt:

            Das ist leider richtig. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Ressourcen der “Privathelfer” endlich sind. Das muss beiden Seiten klar sein, ohne dass der Helfer deshalb moralisch unter Druck gerät. Sonst ist er als Nächster dran.

  9. Foodfreak sagt:

    wie Lars richtig ausführt, eignet sich Twitter perfekt für den kleinen genervten Rant zwischendurch; ich kann aber nicht sagen dass Twitter “depressiv macht”. Ich habe durchaus auch Leute mit behandlungsbedürftigen Depressionen in der Timeline, das ist eine vollkommen andere Baustelle, und da sollte man, denke ich klar, differenzieren (und da versuche ich auch, auf anderen Wegen irgendwie Beistand zu geben, weil Toitter dafür eben nicht das richtige Medium ist). . Im großen und ganzen ist meine Timeline aber etwas, das mich meistens eher aufmuntert und meinen Tag bereichert. Jedenfalls muss ich ganz oft lachen beim Lesen :)

  10. Auch, wenn die Studie recht haben sollte, klärt das noch nicht die Frage von Ursache und Wirkung. Macht Twitter unglücklich, oder kommunizieren Leute ihr Unglücklichsein bevorzugt auf Twitter statt in anderen sozialen Netzwerken?
    Meine Hypothese wäre, daß die 140-Zeichen-Beschränkung es evtl. leichter macht, negative Gefühle auszudrücken, weil man nicht so sehr fürchtet, anderen damit allzusehr auf die Nerven zu gehen.

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