“Ja, ich will!”

christoroliachristorolia
Schön, dass ihr da seid, ich schmeiss eine Lokalrunde, ich hab da mal eine Frage an euch. Ihr müsst mir helfen, etwas zu verstehen. Es geht um das Bestreben vieler lesbischer und schwuler Paare, von Staats wegen heiraten zu dürfen. Natürlich habe ich nichts dagegen, dass lesbische bzw. schwule Paare heiraten können, genauso wenig wie es mich stört, wenn es Heteros tun. Für mich erscheint dieses Bestreben aber widersprüchlich.

Ist das Begehren nach der Anerkennung des Staates so stark, dass die von der Gesellschaft unterdrückte, verdrängte Sexualität dabei aus dem Blick gerät? Ist es die Hoffnung auf größere Akzeptanz der Homosexualität durch die Erlaubnis, heiraten zu dürfen? Ist es nicht widersinnig, etwas anzustreben, was traditionell ganz klar heteronormativ ist? Mir erscheint es sehr viel einleuchtender, generell gegen jede Form der Ehe zu kämpfen, für den Aufbau von Verwandtschaftsbeziehungen ohne dieses ganz patrilineare Zeugs.

Ute GerhardtUte
Ich vermute, es geht oft schlicht um die mit der Ehe einhergehenden Privilegien: Erbrecht, Besuchsrecht und Entscheidungsbefugnis im Krankheitsfall, Rentenansprüche, Aussageverweigerungsrecht etc. Da hängt einiges dran, was man vorher oft gar nicht auf dem Schirm hat. Ein Hauptgrund z.B., warum mein Ex und ich damals geheiratet haben, war die Tatsache, dass wir nicht wollten, dass im Fall eines Falles seine Mutter im Krankenhaus alle Entscheidungen trifft und mich sogar rausschmeißen darf. Klar kann man das alles auch einzeln regeln und zig Papiere bei Notaren etc. hinterlegen. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass z.B. Patientenverfügungen gerne mal schlicht ignoriert werden. Eine Heiratsurkunde hat da ein ganz anderes Gewicht.

Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass viele wirklich auch Wert auf die Symbolik legen, die demonstrieren soll dass ihre Liebe genauso anerkennenswert ist wie die eines heterosexuellen Paares. Was ich durchaus verstehen kann. Solche Signale von “oben” sind wichtig, um auch dem letzten bornierten Trottel im Staat klar zu machen, dass es da keine Unterschiede gibt bzw. geben darf.

Ehe ist derzeit ja eben nur deshalb heteronormativ, weil gleichgeschlechtliche Ehen noch so neu sind. Man würde in einem Teufelskreis landen, wenn man diese Heteronormativität nun als Argument gegen gleichgeschlechtliche Ehen hernäme.

ErbloggtesErbloggtes
Die Voraussetzung für allgemeine Emanzipation (im Sinne von: Befreiung von Diskriminierung) ist doch rechtliche Emanzipation, um überhaupt den Gleichheitsgrundsatz des Rechtsstaats in Anspruch nehmen zu können. Wem der Staat die rechtliche Gleichstellung verweigert, ist ein Bürger zweiter Klasse, und zwar in fundamentaler Weise. Der Rechtsanspruch auf das (zentrale, zum Kern aller Gesellschaft stilisierte) Rechtsinstitut der Ehe – auch für gleichgeschlechtlich Liebende – wäre gleichzeitig das deutlichste Symbol für die staatliche Anerkennung von Homosexualität als völlig legitim. – Insofern Sexualität als Kernbestandteil personaler Identität gilt, wäre dies also auch die staatliche Anerkennung Homosexueller als Bürger erster Klasse. Sobald es soweit ist, dass das selbstverständlich ist, werden einige progressive Homosexuelle wahrscheinlich gar nicht mehr heiraten wollen.

christoroliachristorolia
ring Ich verstehe eurer beider Argumentation, frage aber nochmal deutlicher und evtl. provokanter: Wäre es nicht konsequenter, für die Abschaffung der  Institution Ehe zu plädieren als sich auf die Seite der Unterdrücker schlagen zu wollen? Ist die Ehe, egal ob gegen- oder gleichgeschlechtlich, nicht ein Relikt heteronormativer Zeiten, das grundsätzlich wegen Untauglichkeit über Bord geworfen werden sollte?

Joachim
Ich denke, wir müssen die bürgerliche, also staatliche Ehe auch als einen Akt der Emanzipation von der eigenen Familie sehen. Wie Ute schon sagt: Wenn ich krank werde, möchte ich nicht, dass meine Mutter oder meine Schwester über die Pflege entscheidet. Ich möchte, dass das meine Liebste tut. Wenn ich sterbe, möchte ich in erster Linie an sie vererben. Dieses Recht, sich von der Herkunftsfamilie ein Stück weit zu lösen und eine eigene Familie zu gründen, muss allen offen stehen. Unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung.

Die Frage ist, ob die bürgerliche Ehe der einzige Weg ist, hier Gleichberechtigung zu erreichen. Vielleicht sollten wir sie in verschiedene Aspekte (Fürsorge, Nachlass, Verhältnis zu gemeinsam erzogenen Kindern) aufspalten. Mit Sicherheit sollten wir die steuerliche Bevorzugung verheirateter Paare auslaufen lassen. Aber ersatzlos streichen würde ich die bürgerliche Ehe aus den von Ute genannten Gründen nicht.

Ute GerhardtUte
Ich empfinde die Ehe per se erstmal nicht als Relikt. Die Eheschließung regelt auf einen Schlag zig rechtliche Dinge für das Paar, ohne dass dafür einzelne Verfügungen verfasst werden müssten, für die einem normalerweise bei weitem das nötige juristische Fachwissen fehlt. Zunächst mal finde ich das Konzept “Ehe” daher eigentlich hilfreich. Dass man an der Umsetzung noch feilen bzw. sie auf den Stand des 21. Jahrhunderts bringen müsste, steht auf einem anderen Blatt. (Ich würde übrigens auch nicht nochmal heiraten, sondern lieber Einzelverfügungen verfassen.) Auch Scheidungen sollten dringend vereinfacht werden. Aber die Ehe gleich abschaffen, nur weil nicht jeder sie benötigt oder die Umsetzung nicht ganz optimal ist? Da würde man doch das Kind mit dem Bad ausschütten, finde ich.

Dierk HaasisDierk
Warum sollten ausgerechnet homosexuelle Menschen eher für die Abschaffung der Ehe sein, als heterosexuelle? Meiner Erfahrung nach hat deren sexuelle Ausrichtung  - außer in diesem speziellen Bereich: Gleichstellung – keinerlei inhärente gesellschaftspolitische Komponente. Da gibt es progressive, konservative, eher unpolitische … querbeet halt, wie beim Rest der Gesellschaft.

Einige mögen die staatliche beschlossene Ehe letztendlich abgeschafft sehen, aber auch denen ist sicher klar, dass dies bestenfalls in einigen Jahrzehnten geschehen wird. Da ist es schon pragmatisch sinnvoll, erst dieselben Rechte zu erhalten, um dann über deren Modifikation oder Abschaffung zu streiten.

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2 Kommentare zu “Ja, ich will!”

  1. @mschfr sagt:

    Dazu fallen mir zwei Sachen ein: Zum einen ist der Kampf gegen die bürgerliche Ehe, wie du so linksradikal formulierst, sicherlich nicht die Sache von allen Homosexuellen. Die gibt es auch in konservativ, katholisch, rechtsradikal, religiös, atheistisch und so weiter. Sexuelle Orientierungen korrelieren ja nicht mit politischen Einstellungen. Außerdem dürfte es vollkommen unmöglich sein, die Ehe abzuschaffen. Das ist politisch nicht durchsetzbar.

    Zum anderen sind mit einer Ehe nun mal nicht nur rechtliche Vorteile verbunden, sondern auch ganz konkrete steuerliche. Das ist eine Diskriminierung, die jeden Monat auf dem Kontoauszug zu sehen ist.

    • Quantenwelt sagt:

      Schau doch spaßeshalber mal ins Inhaltsverzeichnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Wie ist der erste Abschnitt des vierten Buchs überschrieben? Linksradikaler Begriff, was?

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